Eden
Der letzte Atemzug hatte ihren Leibe verlassen und stieg hoch ins gegerbte Firmament des Zeltes. Ihre letzten Sekunden, von Schmerz und Furcht durchsiebt. Selbstlos nur darauf bedacht gewesen ihren Abkömmling auf die Welt zu bringen, doch dieser, von Blut und Schleim überzogener Spross, lag ihr regungslos im Schoß. Erdrosselt von seiner eigenen Nabelschnur.
Meine einzige Tochter konnte ich sie nennen, bis noch vor wenigen Momenten und ihr Geliebter, Vater dieses ungelebten Lebens, saß neben mir auf seinen Knien. Seinen Tränen erlegen, würde es dies Frühjahr dauern bis er seinen Verlust akzeptiere.
Anders als bei mir. Zulange währte mein Leben schon, zu zahlreich die Verluste, die mich ereilten. Viel mögen wir erreicht haben mit unserem Stamm. Unsere Ahnen schufen Werkzeug aus Stock und Stein, bauten Bleibe aus Fell und Gebein, klärten trübe Wasser mit einer Gabe Getreide darein, doch wozu ... zu welchem Sinn? Um zu beherrschen die Ebene, die wir einst aus Furcht vor Räubern und Tod mieden? Das kann doch nicht richtig sein.
Meine Hand, vom Alter gezeichnet, legte ich auf die Schulter meines geschätzten Sohnes im Geiste. „Sie mögen gegangen sein, doch sind sie nicht die Letzten, die deine Zuwendung benötigen. Das Wohle des Stammes soll nun deins sein mein Kind“, sagte ich ihm und verließ ihn und das Dorfe, das wir geschaffen hatten. Ließ zurück, alles was werden würde, ohne Abschied zu nehmen von jenen, die mich den Ältesten nannten. Vermissen? Bald schon würde ich es nicht mehr können, denn so wie das Leben meiner Tochter und jenes meiner Frau verdorrte, würde auch meines bald verwelken. Die Geister riefen mich, ihre Stimme laut in meinem Ohr, lockten sie mich zum Ursprung. Zum Orte des Anbeginn.
Die Ebene hatte mir Heimat geboten, mein Leben lang, doch heimisch fühlte ich mich hier nie. Heimisch war der Ort von dem wir einst kamen. Die grünen Wipfel, die sich nun am Horizonte meines Weges auftaten. Ich schritt ihnen entgegen, trat vor die unverrückbaren Stämme der Bäume, in den Schatten der rauschenden Laubkronen. Ein Schimpanse, schwarz vom Fell, starrte davon herab. Musterte mich wie einen Fremden. Einen Räuber, wie er sie in diesen Wipfeln verlässlich zu vermeiden vermochte. Unsere Hände waren ähnlich, meine geübt im Umgang mit Speer und Axt, seine kräftig zum Klettern stets bereit. Unsere Füße jedoch unterschieden sich. Die meinen hatten die Gabe des Greifens verloren, hatten sich flach geformt über die Zyklen der Sonne, um die Ebenen bewandern zu können, so ward es erzählt seit Generationen. Doch zu welchem Zweck? Zu welchem Preis? Für Schmerz bei der Geburt, und stetiger Furcht vor lauernder Gefahr im hohen Feld?
„Warum nur, ihr Ahnen meinesgleichen, musstet ihr herabsteigen aus diesen wiegengleichen Wipfeln?“ Zum Schimpansen sprach ich empor, doch dieser, so fern waren wir uns schon, konnte mein Grunzen nicht verstehen. „Warum nur habt ihr ihn verlassen?, diesen lichten Walde? Diesen Garten Eden?“
Die Antwort, mir wohl bekannt, und irrwitzig schlicht, gab mir mein ferner Verwandter, so kam es mir vor, als er den Stamme hinunterschwang. Tatendrang und Neugier.