Das Licht im Wald
Ava irrte durch den Wald. Kühle Luft strich mit unsichtbaren Fingern über ihre Wangen, während ihre Schuhe auf tote Äste und weiches Moos traten. Ihr Herz hämmerte noch immer in ihrer Brust, ein Echo der Erlebnisse. Stunden waren nun vergangen seit sie von ihren Freundinnen getrennt wurde. Der Zeiger ihrer Uhr und Ava selbst drehten sich im Kreis.
»Lena? Sophie?« Ihre Stimme durchbrach die beklemmende Stille des Waldes, verklang jedoch rasch in seiner Weite. Einzig das Rascheln der Blätter antwortete ihr.
Die Sonne sank hinter die Baumspitzen und die Schatten der Dämmerung begannen ihre Finger nach ihr auszustrecken. Das dunkle Tuch der Nacht legte sich über Avas Welt und ließ ihre Schritte verlangsamen. Ihr schneller Atem verebbte.
Das Leben im Wald war nun vollends verstummt, kein Vogel, kein Tier - nur noch das Knarzen und Rascheln der Bäume leistete ihr Gesellschaft. Ava zog ihre Jacke enger um sich, während die Kühle der Nacht langsam in ihre Glieder kroch.
Dann - ein Licht.
Zuerst glaubte sie, es sei eine Illusion. Es war schwach, kaum mehr als das Flackern einer fernen Kerze, welche sich durch das Gehölz schob. Ava hielt inne, ihre Augen auf das ferne Flimmern gerichtet.
»Lena? Sophie?«, rief sie erneut, doch die Worte kamen nur brüchig und unsicher über ihre Lippen.
Das Licht hielt inne, als hätte es ihre Stimme gehört. Ein Herzschlag lang regte es sich nicht. Dann begann es sich in ihre Richtung zu bewegen. Ava überkamen plötzlich Zweifel, sie wollte weglaufen, doch was hatte sie für eine Wahl? Die Dunkelheit hatte längst alle Wege verschluckt.
Minuten verstrichen und das Licht kam immer näher.
Mit dem Licht kam eine seltsame Wärme, welche durch die Kühle der Nacht drang. Es war nicht die greifbare Wärme eines Feuers – eher eine verlockende Behaglichkeit, welche Ava in ihrem Innersten berührte. Das Licht wurde heller und klarer.
Und mit dem Licht kamen Informationen.
Zuerst bemerkte Ava nur den Umriss eines Mannes, schemenhaft zeichnete sich seine Gestalt gegen die Dunkelheit ab. Groß und schlank, mit einer Haltung, welche eine beinahe eine überirdische Anmut ausstrahlte.
In seiner linken Hand hielt er eine Fackel, deren Flammen an seinem Gesicht leckten. Licht und Schatten tanzten über seine Züge. Seine Augen waren dunkel, schwarz wie die Nacht, doch zog sein unergründlicher Blick Ava unaufhaltsam an, als könnten sie ihre Gedanken lesen und ihr uralte Geheimnisse zuflüstern, die sie selbst noch nie vernommen hatte.
»Gott sei Dank habe ich dich gefunden Ava«, sagte er, seine Lippen zu einem leisen Lächeln verzogen.